Zur Geschichte der Fraktur

Am Ende des 15. Jahrhunderts wurden die meisten lateinischen Bücher in Deutschland in einer dunklen, kaum lesbaren gotischen Schriftart gedruckt, die als Textura bekannt ist. Zu dem wenigen was auf deutsch gedruckt wurde verwendete man meist die gemeine Schwabacher Schrift. Als der deutsche Kaiser Maximilian (regierte 1493-1517) sich entschied, eine herrliche Bibliothek gedruckter Bücher herzustellen, befahl er, daß eine neue Schrift besonders zu diesem Zweck geschaffen werden mußte. Diese Schrift sollte eleganter als die bäuerliche Schwabacher, gleichzeitig moderner als die gotische Textura sein und doch einen “deutschen” Charakter dadurch erhalten, daß keine Elemente der Antiqua darin auftauchen sollten, die etwa zur gleichen Zeit von den italienischen Humanisten erdacht worden war. Die Antiqua basierte auf alten römischen Inschriften und war südlich der Alpen fast ausschließlich in Gebrauch. Basierend auf der handschriftlichen Bastarda, welche seit vielen Jahrzehnten in den Scriptorien des Kaisers benutzt wurde, schuf der Schriftkünstler Leonhard Wagner dieses neue Schriftbild, daß wegen seiner gebrochenen Linien als Fraktur bekannt wurde. Nur vier von Maximilians 130 geplanten Ausgaben wurden zu seinen Lebzeiten ausgeführt, aber diese wurden zum Zwecke der Illustration zu den vorrangigsten deutschen Renaissancekünstlern — Dürer, Cranach und Grün — gesandt und stellen heute einmalige Kunstwerke dar. Diese Künstler verwendeten das neue Schriftbild in ihren Arbeiten und machten es somit populär. Albrecht Dürers "Unterweysung" ist eines der berühmtesten Bücher, die in Fraktur gedruckt wurden.
    Zur Zeit der Reformation wurde Deutschland von einer Welle bedruckten Papiers überschwemmt. Deutschsprachige (protestantische) Flugblätter wurden in Fraktur gedruckt, lateinische (katholische) aber in Antiqua. Damit war die Fraktur als deutsche Schrift schlechthin etabliert. Kurioserweise erschien eine protestantische Bibel bei der jeder Vers der mit der Erlösung oder dem Paradies zu tun hatte, mit einem Frakturbuchstaben anfing. Ging es jedoch um die Hölle, Verdammung oder den Teufel, begann der Vers mit einem Antiquabuchstaben! Dieser scharfen Abgrenzung verdanken wir die heutigen Bezeichnungen für “deutsche” und “lateinische” Schriften. In den folgenden fünf Jahrhunderten wurde die Fraktur je nach der politischen Lage als altertümlich verdammt, oder als patriotische Ausdrucksform gepriesen. Bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein wurden die meisten deutschen Bücher in Fraktur gedruckt, nur wissenschaftliche oder besonders fortschrittliche Werke bedienten sich der lateinischen Antiqua.
    Während sich die Antiqua in den meisten anderen Nationen (Skandinavien, Österreich) schon seit der Mitte des 19ten Jahrhunderts behauptet hatte, so dauerte dies in Deutschland bis nach dem ersten Weltkrieg. Die deutsche Gesellschaft öffnete sich dem Einfluß der Welt und die Verwendung der Fraktur ging mehr und mehr zurück. Dieser Trend endete mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die hemmungslose Glorifizierung deutscher Kultur trieb die Fraktur zu neuen und bizarre Blüten. Etliche Schriften mit Namen wie “Tannenberg” wurden erzeugt, Schriften deren künsterlischer Wert als mittelmäßig einzustufen ist und die zumeist unter dem vielsagenden Begriff “Schaftstiefelgrotesk” geführt werden. Um so seltsamer erscheint es uns, daß es Hitler selbst war, der schließlich der Fraktur Ihr offizielles Ende bereitete. Die Frakturschrift stellte ein erhebliches Hindernis in der Verständigung mit den Völkern des besetzten Europas dar. Daher wurde die Fraktur im Januar 1941 offiziell abgeschafft indem man sie als "undeutsch" und von "jüdischem Ursprung" erklärte. Die Verordnung hielt alle Zeitungen und Verlage dazu an zum frühestmöglichen Termin die Antiqua einzuführen. Wegen der ökonomischen Schwierigkeiten, die durch den Krieg verursacht wurden, wurde diese Verordnung nie konsequent durchgesetzt und nur verhältnismäßig wenige Veröffentlichungen hatten bis zum Ende des Krieges 1945 “umgestellt”. Die allierten Besatzungsmächte führten eine Pressezensur ein und förderten aus Gründen der Lesbarkeit weiter den Gebrauch der Antiqua.
    In den folgenden Jahren suchten deutsche Verleger und Buchgestalter nach neuen Ausdrucksformen die nicht an die militaristische Vergangenheit Deutschlands erinnerten. Es entwickelte sich eine typographische Kultur die sich sehr an die Lehren der Bauhausbewegung anlehnte. Leider und trotzdem wurde die Frakturschrift in den folgenden vierzig Jahren mehr und mehr mit dem dritten Reich in Verbindung gebracht, bis schließlich Fraktur als “Nazischrift” schlechthin galt. Heute bringen Drucker und Grafiker diese Schätze an das Licht in der Hoffnung, daß die Frakturschrift, von politischen Klischees befreit, als das gesehen wird was sie ist — eine neue, alte, wundervolle Art, Gedanken auf’s Papier zu bringen.